Theater: Die Laborantin

Schauspiel. Dystopie über wertes und unwertes Leben

Ella Road, der Shooting Star der Londoner Theaterszene, verknüpft in ihrem theaterwirksamen Debüt, das aktuell auch bei uns zu den beliebtesten und meistgespielten Stücken gehört, eine berührende Liebesgeschichte mit hochbrisanten Fragen zur Medizinforschung. Noch bevor erste Symptome auftreten, gibt ein genetischer Bluttest Auskunft über den gesundheitlichen Verlauf des zukünftigen Lebens: über erhöhte Herzinfarkt-Risiken, über potenzielle vererbte, chronische oder psychische Krankheiten, über die Wahrscheinlichkeit von Suchterkrankungen etc. Aus dem Testergebnis wird ein Ranking auf einer Skala von 1 bis 10 erstellt. Was ursprünglich als Fortschritt für die individuelle Gesundheitsvorsorge gedacht war, wirkt sich auf den sozialen Status des weiteren privaten und beruflichen Lebens aus. Der genetische Code stigmatisiert oder öffnet alle Türen für private Chancen und berufliche Perspektiven: Bildung, Karriere, Kreditwürdigkeit – nichts geht mehr ohne einen guten Ratingindex.

Die Laborantin Bea ist für die Durchführung der Tests verantwortlich. Als ihre Freundin, deren Index nur 2,2 beträgt, sie bittet, das Ergebnis zu fälschen, entdeckt Bea einen lukrativen Nebenerwerb: den Handel mit manipulierten Ratingwerten. Denn vielen Menschen ist die Zahl, die über ihre Zukunft entscheidet, viel Geld wert. Welchen Preis Sie für ihren materiellen Lebensstandard bezahlen muss, merkt Bea erst, als es zu spät ist…

In der Kombination einer berührenden Liebesgeschichte mit hochbrisanten medizinisch-ethischen Forschungsthemen zeigt sich Ella Roads bemerkenswerter Theaterinstinkt. Die vier unterschiedlichen, genau gezeichneten Charaktere und die nachdenklichen Zwischentöne in den Dialogen erklären sich auch durch Roads Erfahrung als ausgebildete Schauspielerin. In der beunruhigenden Zuspitzung des durch den ideenreichen Wechsel von Spielszenen und Videosequenzen raffiniert aufgebauten Well-Made-Plays stellt die 1991 geborene britische Autorin bedrückend gegenwärtige Fragen zur ethischen und moralischen Verantwortung der Medizinforschung zur Diskussion.

Seit der bahnbrechenden ersten (2001) und der lückenlosen Entschlüsselung des menschlichen Genoms (2021) sind diese in der wissenschaftlichen Humangenetik zum Teil schon keine Zukunftsvision mehr. Stellvertretend SUPER seien hier nur die Pränataldiagnostik, die Entdeckung der 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichneten Genschere CRISPR und die auf Gen-Editing-Technik basierenden Corona-Impfstoffe genannt. Ein Beweis dafür, dass „Die Laborantin“ kein Zufallstreffer ist, beweisen die Kritiken »der vielversprechendsten jungen Dramatikerin Großbritanniens« (The Telegraph) für ihr zweites, 2021 uraufgeführtes, Stück „Fair Play“ über die weitreichenden Schattenseiten einer Leichtathletikkarriere.

Euro-Studio Landgraf