Kritik aus der Borkener Zeitung vom 27.09.2024
Theater der Kulturgemeinde
Im Lehrerzimmer sitzen keine Helden
Von Dorothea Nattefort
Borken. Die Kulturgemeinde Borken hat am Mittwochabend zum Auftakt ihrer Theatersaison das Stück "Eingeschlossene Gesellschaft" angeboten. Dem Publikum hat das Stück mit teils bewusst überzeichneten Charakteren gefallen, lag doch gerade darin die Möglichkeit, in eigenen Erinnerungen zu schwelgen.
Kann ein Theaterstück noch begeistern, wenn man den Film kennt, der mit so renommierten Schauspielern wie Anke Engelke aufwarten kann? Die vergnügte Reaktion des Publikums und der lang anhaltende Applaus zeigten, dass diese Frage zum Auftakt der neuen Theatersaison in der Stadthalle mit dem Stück "Eingeschlossene Gesellschaft" unbedingt mit Ja beantwortet werden konnte.
Diesmal öffnete sich kein Vorhang, sondern schon als die Zuschauer nach und nach ihre Plätze einnahmen, war ein Blick ins "Lehrerzimmer" möglich. Ein Rückzugsort für Lehrer, zu dem der Zutritt für freche Schüler und aufdringliche Eltern nicht erlaubt ist. Entsprechend unwirsch reagieren die an einem Freitagnachmittag noch anwesenden Lehrer, als jemand an die Tür klopft. Man will schließlich ins Wochenende eilen.
Beim Zuschauer eröffnen sich Erinnerungsräume. So oder so ähnlich kennt man die Situation; alle Klischees werden bedient: der überaus korrekte Lateinlehrer, die strenge Französischlehrerin, die engagierte Referendarin, der lässige Sportlehrer. An der Tür ist der Vater von Fabian. Seinem Sohn fehlt ein Punkt für die Zulassung zum Abitur. Er will die Lehrer mit Waffengewalt dazu zwingen, noch einmal über Fabians Leistungen zu beraten.
Die Figuren sind natürlich grell überzeichnet; das Ensemble von Theaterlust zeigt eben eine Gesellschaftsatire. Mitunter stellen sich aber durchaus authentische Erinnerungen ein. Etwa an den Lehrer, der ein ausgeklügeltes, scheinbar unfehlbares System der Leistungsbewertung entwickelt hat. Oder an die strenge Lehrerin, die der Jugend von heute überaus kritisch gegenübersteht. Arrogant und zynisch spricht sie davon, dass "Minderleister" aussortiert werden müssen. In der Überzeichnung der verklemmten, vom Leben offensichtlich enttäuschten Frau steckt aber so viel komisches Potential, dass das Publikum einen Heidenspaß hat.
Spätestens, als Fabians Vater die Personalakten der anwesenden Lehrpersonen ausbreitet, werden Fehlverhalten und fragwürdige Charakterzüge entlarvt. Die Leistungsbewertung des Lateinlehrers entpuppt sich als Willkür, die sich hinter numerischer Scheingerechtigkeit versteckt. Die Französischlehrerin gesteht dann auch ihre enttäuschte Liebe zu dem Chansonnier George Moustaki und zeigt sich so endgültig als völlig weltfremd. Trotz aller Überzeichnung entwickelten die Figuren eine authentische Tiefe und in das Lachen mischte sich nun auch ein wenig Mitleid. Das Publikum belohnte das mitreißende Spiel des Ensembles mit stürmischem Applaus.
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